Rede zum Haushalt 2019 der Stadt Herrenberg

Üblicherweise streift eine Haushaltsrede möglichst viele kommunale Bereiche. Ich gehe heute einen anderen Weg und greife zwei für die Zukunft unserer Stadt entscheidende Themen ausführlicher auf. Ausdrücklich möchte ich betonen, dass weitere Aufgabenfelder wie die Sanierung der Schulen, der Ausbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten, Strategien zu Belebung der Innenstadt oder die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für die grüne Fraktion oben auf der Agenda stehen.

21.01.19 –

Üblicherweise streift eine Haushaltsrede möglichst viele kommunale Bereiche. Ich gehe heute einen anderen Weg und greife zwei für die Zukunft unserer Stadt entscheidende Themen ausführlicher auf. Ausdrücklich möchte ich betonen, dass weitere Aufgabenfelder wie die Sanierung der Schulen, der Ausbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten, Strategien zu Belebung der Innenstadt oder die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für die grüne Fraktion oben auf der Agenda stehen.

Verkehr – 5G – Digitalisierung

70 Jahre lang haben wir unsere Gesellschaft auf das Automobil ausgerichtet: – materiell als auch mental. Unsere Städte sind von der Mitte bis an den Rand vollständig auf die Raumanforderungen und Geschwindigkeiten von Tonnen schweren Fahrzeugen ausgelegt. Jeder Versuch, hierzu Änderungen herbeizuführen, gleicht einem Kampf ums Lebensnotwendige. Verwirrte Debatten aufgrund frustrierter Parkraumsucher und unangepasster Geschäftsmodelle geben hiervon Zeugnis. Mit alten Vorschlägen werden weiterhin Grün- und Freiraum zugebaut, um geschaffene autogerechte Strukturen für die nächsten 50 Jahre zu zementieren.

So wie das Auto das "Narrativ der Moderne" ist, so sind wir gerade dabei, die fundamentalen Umbrüche unserer Zeit, welche im Zuge der sogenannten Digitalisierung stattfinden, zum neuen Narrativ eines vermeintlichen alternativlosen Fortschritts zu machen.

Die teils mystischen Erzählungen zur Digitalisierung gehen dabei weit über die alten Versprechen hinaus. Damals wurden uns nie versiegende atomare Energiequellen und mit Atomkraft fliegende Autos versprochen.

Heute haben wir hohle Debatten um das digitale selbstfahrende Auto und um eine vermeintlich grüne Mobilität. Bis jetzt hat noch jeder Reboundeffekt Einsparungen durch technische Neuerungen aufgezehrt.

Mitten in einem sich beschleunigenden weltweiten Prozess der Zerstörung unserer Lebens-grundlagen, durch Ausbeutung der Ressourcen, dem galoppierenden sogenannten sechsten Artensterben und den Vorboten einer Klimaveränderung katastrophalen Ausmaßes, der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem Schwund an bezahlbaren Wohnraum beschleicht viele Menschen ein ungutes Gefühl, dass es so mit unserem Lebensstil eigentlich nicht weitergehen kann .

Haben wir das in Herrenberg bereits verinnerlicht? Arbeiten wir ernsthaft genug an einer Veränderung?

Beispiel IMEP: Ein sehr großes Fass haben wir aufgemacht. Straßenverläufe werden neu strukturiert, Räume wie die Seestraße erhalten ein neues, modernes Gesicht und alles soll für alle flüssiger werden. Autofahrer, Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV-Nutzer.

Aber nur so lange und so weit, wie der Nutzung des Automobils keine Steine – bzw. in unserem konkreten Fall – Fahrradstraßen mit vorfahrtsberechtigtem Rudel-radeln in den Weg gebaut werden. Es soll ein zusätzliches Parkhaus mitten in die Stadt gebaut werden, obwohl wir eigentlich wissen, dass dies weder unser Verkehrs- noch unser Einzelhandelsproblem löst.

Strukturelles und energetisches Ergebnis der aktuellen IMEP-Planung ist: Es werden noch mehr Kilometer individuell gefahren werden als zuvor. Null Komma Null weniger Energieverbrauch und CO2-Vermeidung, Verlagerung des NOx Ausstoßes in andere Stadtzonen und Fußgänger werden noch länger an den Ampeln warten, weil eben doch das individuelle Auto Rahmen und Maßstab aller Planung ist.

Und damit der tägliche Stau auch erträglich bleibt, kapert die Autoindustrie mit dem geplanten autonomen Fahren jetzt den Mega-Vorteil des Öffentlichen Personen Nahverkehrs – die Freiheit der Aufmerksamkeit: Zeitunglesen, Kaffee und Croissant, Video gucken, natürlich auch Mails abarbeiten oder einfach nur in die Landschaft schauen und träumen – alles, während die Tonnen schwere Blechbüchse ein paar Kilo Mensch an irgendein Ziel fährt und dort viel Raum fordert.

Werden wir es in Herrenberg schaffen, nur, ich spitze etwas zu, mit einer Angebotsausweitung im ÖPNV und ein paar Lastenrädern gegen diese Verlockungen unseres Fetischs Auto eine Verkehrswende hinzubekommen?

Wir haben da unsere Zweifel.

Zum Auto(nom)fahren braucht man neben abgeholzten Straßenrändern, breiten Straßenzügen nun zusätzlich flächendeckend die neue 5G-Mobilfunk-Technik nach Wunsch der Automobilhersteller.

3G, 4G, 5G – na und – geht halt weiter! Richtig: Weiterentwicklungen stehen auch wir grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, aber nicht nur die Frage nach Möglichkeiten, sondern auch die nach den Risiken muss gerade von der Politik gestellt werden.

Nach den Angaben der Mobilfunkbetreiber reden wir bei 5G bundesweit über den Zubau von 300.000 neuen Mobilfunksendeanlagen. Eine große soll gerade mitten in ein Wohngebiet in der Nachbargemeinde Nufringen errichtet werden. Hier geht es vorrangig noch um die Indoorversorgung, die die Betreiber den Menschen reindrücken – egal ob sie es wollen oder nicht.

Für den Ausbau von vielen kleinen Sendeanlagen hat sich die Bundesregierung etwas Besonderes ausgedacht. Die Region Stuttgart ist dafür gerade das Versuchsfeld mit dem Breitband-Ausbau-Deal mit der Telekom zur Gigabitregion Stuttgart der hier im Rat im Dezember mitgetragen wurde.

Wo Glasfaser für viele draufsteht, hängt hinten dran 5G-Mobilfunk. Die Telekom soll mit diesem Deal neben dem gewünschten – und teils auch dringend nötigen Glasfaseranschluss für die meisten Gebäude auch einen vereinfachten Zugriff auf die Netzinfrastruktur der Gemeinden bekommen, um genehmigungsfreie Sendeanlagen möglichst widerstandlos und ggf. an jeder Straßenecke hinschrauben zu können.

Ist dieses Ziel, mit der Folge der totalen Verstrahlung aller Lebensbereiche und der weiteren Fixierung auf das Automobil eine gute Idee? Wenn wir dafür eine per se toxische Mikrowellenstrahlung benutzen und es zulassen wollen, den Strahlungspegel immer weiter nach oben zu schrauben, ist das keine gute Idee. Stattdessen wäre es möglich, mit neuester Technik die Strahlungsbelastung zu senken, das ist angesichts der Forschungsergebnisse dringend notwendig.

Denn: Mobilfunkstrahlung kann Krebs auslösen. Das ist seit letztem Jahr gesicherte wissen-schaftliche Erkenntnis. Mobilfunkstrahlung lässt auch bei sehr geringer Dosis entartete Zellen schneller wachsen – sie ist Krebs promovierend – zweifach bestätigt durch Wiederholungsstudien des Bundesamtes für Strahlenschutz. Mobilfunkstrahlung wirkt unterhalb der bestehenden Grenzwerte gentoxisch – bewiesen durch über 80 internationale Studien. Mobilfunkstrahlung schädigt die Fruchtbarkeit. Das Schweizer Bundesamt für Strahlenschutz bestätigt, dass die in der Alltagsnutzung von Smartphones ausgehende Mikrowellenstrahlung eine neurotoxische Wirkung auf z.B. Jugendlichen hat – mit Auswirkungen auf Konzentration und Wohlbefinden. Sie macht Stress in lebenden Systemen.

Am Neujahrsempfang hat Herr Oberbürgermeister Sprißler lobend unsere eigenes LoRaWan Funknetz angesprochen – sie wissen schon, das für die Mülltonnenüberwachung. Das möchte ich hier auch tun. Denn dies ist ein gutes Beispiel, wie in Eigenregie eine Anwendung, ein gewünschter Nutzen, mit einem extrem strahlungsarm ausgelegten Funknetz aufgebaut wurde.

Doch ich will auf Folgendes hinaus: Die Industrie ist dabei, mit 5G das neue Narrativ der vernetzten, digitalen Welt nun noch fester zu implementieren und es dabei mit dem alten, zerstörerischen Narrativ der Automobilen Mobilität zu verknüpfen. Wir wiederholen einen Fehler: wieder wird, wie beim Automobil in den 50er Jahren, die Stadtstruktur für ein Produkt umgebaut, nicht aber für die Menschen. Was das für Konsequenzen hat, darüber wird bis jetzt jede tiefergehende Diskussion verweigert – alles wird wieder mal als Fortschritt und alternativlos hingestellt. Mir scheint, hier will jemand den Traum von der Wachstumsmaschine ewig weiterträumen – auf Teufel komm raus.

Bildung - die Digitalisierung der Schulen ist in aller Munde.

In Herrenberg wurde im letzten Jahr die Grundlage zur Digitalisierung der Schulen sprichwörtlich gelegt - der Glasfaseranschluss aller Schulen ist hergestellt.

Die Frage ist nun, wie geht es weiter? An dem Einsatz digitaler Geräte als Hilfsmittel, wie Projektoren, Taschenrechner und Kreidetafel in der Schule geht sicher kein Weg vorbei. Auch wenn wir darüber mitreden sollten, ab welcher Klassenstufe dies geschehen soll. Aber was ist eigentlich gemeint mit der ´Digitalen Bildung`?

Hinter den Modellen zur sogenannten „Digitalisierung der Bildung“ stehen knallharte wirtschaftliche und machtpolitische Interessen.

Das Auffälligste: Die Pläne der Bundesregierung zur ´Digitalen Bildung` wurden nicht von Pädagogen, Medien- oder Neurowissenschaftlern erstellt. SAP, Bertelsmann, Microsoft, Telekom und Organisationen wie das Hasso-Plattner-Institut für IT-Engineering haben diese Konzepte entworfen und die Beschlüsse vorbereitet.

Die vorliegenden Pläne zur Digitalisierung der Bildung beschreiben gerade nicht die Nutzung von digitalen Medien als Hilfsmittel, sondern es soll digital und computergesteuert, gelernt.
In der Schweiz, die uns nur ein bisschen voraus ist, wurden vor kurzem konkrete Pläne zur digitalen Bildung auf einer Lehrerfortbildung vorgestellt:

Der Klassenverband wird aufgehoben. Die Schüler*innen sitzen vereinzelt vor Tablets und gehorchen einer Computerstimme, die ihnen sagt, was sie als Nächstes zu üben haben. Das Lernprogramm ist ein Softwareprodukt der Industrie. Ein Lehrer für bis zu 100 Schüler*innen sitzt im Nebenraum und beobachtet als „Lerncoach“ über seine Bildschirme die Fortschritte der Schüler. Kameras überwachen Mimik, Stimmung und Wachheit der Schüler und geben individuell zugeschnittene Anreize, dabei zu bleiben.

Ist das etwas Neues? Ist das etwas Gutes? Die soziale Komponente, der motivierende Lehrer, entfällt. Genannt wird es individualisiertes Lernen. Es ist aber Frontalunterricht in Potenz. Hier geht es nicht um die Erziehung mündiger Bürger, hier geht es um Dressur.

Wir in Herrenberg sind zwar weder für den Bildungsplan noch für die Lehrerausbildung zuständig, aber stellen den materiellen Rahmen und sollten uns rechtzeitig auch dort politisch einmischen, wo es sehr schräg zu werden droht.

In unserem Wahlprogramm ist es auf die kurze Formel gebracht:
Das Leben ist analog. Digitale Medien in der Schule ja - aber ohne blinden Aktionismus und fragwürdige IT-Erziehung. Kitas bleiben bildschirmfrei.

Noch zwei Anmerkung zur Hardware:

Seit dem Beschluss zur Digitalisierung der Ratsarbeit, die Einführung von Tablets und der Installation von meist dauerstrahlenden WLAN wurden seit 2015 ca. 70.000 Euro ausgegeben. In der damaligen Drucksache wurde vorgerechnet, dass dies auf Dauer günstiger sein wird, als die 11.000 Euro jährlichen Druck- und Zustellungskosten der Ratsunterlagen. Nun wurde endgültig festgestellt, dass die Geräte eigentlich viel zu klein sind, um hierauf vernünftig lesen, geschweige denn arbeiten zu können. Nach nur dreieinhalb Jahr werden die vorhandenen Geräte durch DIN A4 große Geräte ersetzt. Das macht zusätzliche 40.000 Euro.
Überlegen wir also bitte schon aus haushaltspolitischer Abwägung heraus, wann, wer, was für Hardware für welche Schulen warum anschafft. Hier geht es schließlich um ganz andere finanzielle Dimensionen als in der Ratsarbeit. Das Zweite: Eine ganz dringende Bitte an die IT-Technik der Stadtverwaltung. Vermeiden Sie bei der Umsetzung des Haushaltplanvorgaben, die Installation von dauerstrahlenden WLAN-Sendern in den Schulen.

Wenn man meint auf Funk nicht verzichten zu können, geht auch das strahlungsarm – ähnlich unserem stadteigenem Funknetz LoRaWan.

Wir meinen, nicht nur global betrachtet, brauchen wir in Herrenberg auch konsequentere Lösungen, als wir sie bis jetzt auf den Weg bringen wollen.

Sind wir zu ungeduldig? Ich denke nein.
Wir haben die Verantwortung, hier und jetzt die Weichen für eine enkeltaugliche Zukunft zu gestalten.

Ein weiter so wie bisher sollte es nicht geben. Es zeigt sich nämlich immer wieder, dass die Bevölkerung fortschrittlicher denkt, als die Politik ihr dies zutraut. Ich hoffe sehr, wir werden in diesem Jahr den Mut und die Kraft dazu aufbringen unsere Entwicklung konsequent ökologisch, sozial, gerecht und gesundheitsverträglich zu gestalten zum Wohle unser Bürger jetzt, aber auch in Zukunft.

Die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN wird dem Haushalt zustimmen.

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